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Jürgen Lorenz (Historiker): Wolfsschanze, Hitlers gesprengtes Hauptquartier in Ostpreußen, findet nach der Ostöffnung Europas das Interesse eines gewissen
Horrortourismus. Die Schaurigkeit eines historischen Ortes, an dem "ER" hauste, scheint Anziehungskraft zu besitzen. Kommerz fragt nicht nach dem Ursprung! Zum 50. Jahrestag des Stauffenberg-Attentates läßt sich in diesem
Führerhauptquartier ein neuer Höhepunkt in der Vermarktung dieser historischen Periode erwarten. Abseits der Massenströme und Sensationslust entstand in deutsch-französischer Zusammenarbeit zwischen Pierre Rhode und Werner
Sünkel ein Buch über eines der Führerhauptquartiere, Wolfsschlucht 2, in Nordostfrankreich, welches zudem bis heute weitgehend erhalten blieb! In jahrelangen Detailstudien entwickelten sie die "Autopsie eines
Führerhauptquartiers", so der Untertitel. Das über 300 Seiten starke Werk bewegt sich im Bereich der wenig geförderten, aber trotzdem notwendigen, neuesten Militärhistorie; es demonstriert die Geschichte, die Beton-Architektur
und das militärische Potential des weitestgehend fertiggestellten Hauptquartiers Wolfsschlucht 2 in der Nähe von Soissons. Beginnend mit Funktion und Bedeutung einer ausgelagerten Zentrale der höchsten militärischen und
politischen Kommandogewalt führt das Buch zur rationalen und politischen Motivation der Standortfindung. In diesem Zusammenhang ist besonders die Tatsache von Interesse, daß der Gefreite Hitler im Verlauf des Kriegsjahres 1918 im
unmittelbaren Bereich diente und ihm somit die Örtlichkeiten bekannt waren, als Frankreich in seinen Einflußbereich fiel. Auch die Namenswahl findet direkte Bezüge zu Hitlers Vorgeschichte. Beginn und Ausbau des enormen Kommando-
und Verteidigungskomplexes finden im Anschluß daran ebenso eingehende Erörterung wie die detaillierte Darstellung aller Führungs-, Logistik- und Verteidigungsbauwerke und -einrichtungen. Mit Skizzen, Fotos und z.T. Original und
Nachkriegsplänen aus französischer bzw. NATO-Nutzungszeit wird der Militärkomplex, ganz einer "Autopsie" entsprechend, in allen Einzelheiten, bis in die Bautechnik hinein, vorgestellt. Die Darstellungen der Bunker zur
Erd- und Luftverteidigung könnten leicht als Grundlage einer Typologie deutscher Befestigungswerke des 2. Weltkrieges dienen und lassen in der Exaktheit ihrer Darstellung, auch auf dem Gebiet der Kommunikationstechnik, der
Lüftungs- und Filteranlagen usw., keine Wünsche offen. Die Lokalisierung und kurze Darstellung des später begonnenen und weitaus weniger ausgebauten Hauptquartiers Wolfsschlucht 3 beendet die Spekulation um dessen Existenz in
einem eigenen Abschnitt. Statistiken, Pläne, Luftaufnahmen und ein Quellenverzeichnis runden diese historisch und militärarcheologisch gelungene Dokumentation ab; nicht zuletzt deswegen ein notwendiges Werk, weil Landesentwicklung
und die Natur, die ihre Wunden schließt, wenn sie nur darf, wenig Rücksicht auf dieses Stück deutscher Militärgeschichte nehmen. |